Deutschlandfunk,  Politische Literatur,  22. September 2003  19.15 - 20 Uhr, Autorin: Karin Beindorff

‚Watch, what you say.’

Mathias Bröckers, Andreas Hauß: Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11. September; Zweitausendeins, 325 S.

 

‚Watch what You say’, ‚Passen Sie auf, was Sie sagen’, hatte Präsidentensprecher Ari Fleischer zu Journalisten nach den Attentaten am 11. September 2001 gesagt. Bröckers und Hauss ignorierten diese Drohung und spielen seither die Ermittler im wohl brisantesten Kriminalfall der Gegenwart. Die Bush-Regierung ihrerseits tue alles dafür, jede ernsthafte Ermittlung zu blockieren:

 

"Ohne die unter dem Siegel der ‚nationalen Sicherheit’ gebunkerten materiellen Beweismittel jedoch lässt sich dieser Kriminalfall nicht lösen, und so können wir mit diesem Buch nicht beweisen, wer die Anschläge des 11. Septmeber wirklich begangen hat. Was wir aber belegen können, ist, dass es kein isoliertes ‚islamistisches’ Kommando war, von dem das 21. Jahrhundert in eine neue Dimension des Terrors gebombt wurde, sondern ein von den Geheimdiensten sowie der Militärführung der USA und ihren Verbündeten zumindest unterstützter Plot."

 

Die These des jetzt so umstrittenen, aber gut verkauften Buches lautet also: Möglicherweise hat die gegenwärtige Regierung der USA selbst fast 3000 Menschen in den Tod geschickt, vielleicht hat sie es nur geduldet, weil es ihren machtpolitischen Interessen in den Kram passte. Mit ihrem Indizienbeweis stellen sich die Autoren abseits der amtlichen und von nahezu allen Medien übernommenen Version: Osama bin Laden und sein Netzwerk AlQuaida steckten hinter den vier Flugzeugbomben von New York, Washington und Pennsylvania, und die so hochbezahlten und -gerüsteten Geheimdienste der USA hätten bei der möglichen Verhinderung eben ‚Fehler gemacht’.

Beim hiesigen Publikum stösst diese amtliche Verschwörungstheorie allerdings zunehmend auf Unglauben:  68 Prozent der Deutschen glauben nach einer Umfrage,  über die wahren Details der Anschläge nicht vollständig unterrichtet zu sein, 19 Prozent immerhin meinen, dass  die US-Regierung selbst hinter den Attentaten stecke. Das aber scheint die etablierten Medien nicht etwa zu selbstkritischer Reflexion zu ermuntern und die Frage nach dem offensichtlichen Verlust ihrer Glaubwürdigkeit aufzuwerfen, sondern führt zu eher wutschäumenden Ausfällen gegen eine handvoll Rechercheure, die zu anderen Ergebnissen gelangen, als die von der US Regierung und ihren Spin-Doctors gestreuten. Bröckers, Hauß und andere Skeptiker gelten der Mehrheit der Kollegen deshalb als Verrückte, paranoide Amerika-Hasser und Antisemiten obendrein. Bequemerweise streuen tatsächlich gestörte Rechtsextreme wie der NPD-Anwalt Horst Mahler die Behauptung, hinter den Attentaten stecke die allseits bekannte jüdische Weltverschwörung. Ohne das explizit zu behaupten, rückt man hierzulande nun in perfider Weise auch Bröckers und Hauß in die Nähe solchen Unfugs. Im diesem Buch jedenfalls gibt es keinerlei Anhaltspunkte für antisemitische Vorurteile.

Eins kann indes als sicher gelten: die Version der AlQuaida/Bin Laden-Verschwörung stammt nicht auch aus unabhängiger journalistischer Recherche, sondern direkt aus us-amerikanischen Regierungsquellen. Überprüft werden konnte sie bis heute kaum, denn es gibt in den USA keine öffentlichen kriminalistischen Ermittlungen in diesem Fall. Schlimmer noch, die massive Einschränkung der Bürgerrechte in den USA  sorgt für Einschüchterung aller, die der Regierung misstrauen. Das von den US-Medien erzeugte nationalistische Klima setzt Regierungskritiker unter grossen Druck.

Alle Journalisten und Autoren müssen sich an Zeitungsmeldungen, Interviews, Zeugenberichte, Expertenspekulationen und das Internet halten, sofern sie nicht von Geheimdienstmitarbeitern und Spindoctors der herrschenden Politiker gespickt werden. Letzteres trifft auf Bröckers und Hauß gewiss nicht zu. Sie halten sich nahezu ausschließlich ans Internet, in dem sich in der Zwischenzeit alle in öffentlichen Medien erwähnten Äußerungen wiederfinden lassen.

In einer kleinteiligen Puzzlearbeit, die den Leser gelegentlich schwindlig macht, versuchen die beiden Autoren, diese öffentlich verfügbaren Informationen zusammenzusetzen und zu strukturieren. Organisierendes Prinzip ist dabei die Suche nach Widersprüchen:

Wieso behauptet der Präsident, er habe am 11. September um 8.45 Uhr  einen Notfallplan in Gang gesetzt, wenn er doch nachgewiesenermaßen noch um 9 Uhr in einer Schulklasse in Florida sich Ziegengeschichten vorlesen liess, sich nicht einmal nach der ihm ins Ohr geflüsterten Mitteilung eines Mitarbeiters über die Anschläge in New York eiligst erhob, um seiner Arbeit als Oberbefehlshaber nachzukommen? Warum sass Verteidigungsminister Rumsfeld, bereits von den Attacken auf das Welthandelszentrum informiert, noch in seinem Büro im Pentagon und telephonierte seelenruhig in tagespolitischen Angelegenheiten? Und warum debattierte er um  9 Uhr an diesem Tag, eine Viertelstunde nachdem die erste Maschine in den Nordturm des World Trade Centers gerast war, mit seinem Stellvertreter Wolfowitz und Senatoren über den Verteidigungshaushalt, anstatt sich in den für solche Krisenfälle vorgesehenen Raum zu begeben ? Warum hat die Luftabwehr, die nach festgelegten und hundertfach trainierten Plänen funktioniert, in allen vier Fällen versagt? Wieso standen in der von CNN unmittelbar nach den Anschlägen veröffentlichten Passagierliste Namen von Menschen, die noch nie auf dem betreffenden Flughafen waren, und warum wurden die Namen der angeblichen 19 arabischen Terroristen nie auf diesen Listen veröffentlicht? Von 6 der angeblichen arabischen Terroristen heisst es bekanntlich, sie seien noch am Leben. Immerhin hatte der saudische Aussenminister persönlich nach einem Treffen mit Bush vor der Presse am 20. September gesagt, dass nachweislich fünf Namen auf der Täterliste falsch seien, also nichts mit den Ereignissen zu tun hätten? Alles nur Namensverwechslungen? Warum hat das FBI die Originallisten noch nicht vorgelegt, die doch über jeden Flug existieren und zum einchecken unerläßlich sind?  Warum soll der angeblich bewußt in den Tod fliegende und mit einem Ticket ausgestattete Mohammed Atta eine Pilotenuniform,einen Koran, diverse Flugunterlagen und vorallem sein angebliches Testament als Gepäck aufgegeben haben, wohlwissend, dass das alles beim Attentat in Rauch aufgehen würde? Und ausgerechnet seine Tasche soll nicht von einer Maschine in die andere umgeladen worden sein?

Dutzendweise fördern die Autoren derartige Widersprüche und Merkwürdigkeiten zutage, stellen die Kinderfrage nach dem Warum und bemühen den kriminalistischen Spürsinn, spekulieren über technische Details. Da mag manch Kuckucksei dabei sein, doch ganz unplausibel ist der gezogene Schluss eben nicht: dass nämlich die angeblich rein islamistische Mord-Operation ihre us-amerikanischen Schutzpatrone gehabt haben muss. Können Geheimdienste, die jahrelang mit islamistischen Terroristen gemeinsame Sache gemacht haben, wirklich so ahnungslos gewesen sein?

Die lautstärksten und ausfälligsten Kritiker dieser Schlussfolgerung sind nun ausgerechnet die, die sich besonders gerne etwas auf ihre investigative Arbeit zugute halten, allen voran der Spiegel, das einst so kritische Fernsehmagazin Panorama und der Enthüllungsguru  Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung. Sie, und fast alle anderen auch, haben seit dem 11. September in seltsamer Übereinstimmung die amtliche Verschwörungstheorie vom Drahtzieher Osama bin Laden weitgehend ungeprüft kolportiert, und sind den tatsächlichen Ungereimtheiten nicht mit der in anderen Fällen an den Tag gelegten Verve nachgegangen. Der Spiegel hat  sogar ein (allerdings weniger gut verkauftes) 9/11-Buch  herausgebracht, in dem der Eindruck erweckt wird, die Reporter seien in jeder Sekunde dabei gewesen. Es scheint, als fühle man sich nun in diesen Redaktionsstuben von Bröckers, Hauß und Co. auf den Schlips getreten, weil bei der Missachtung journalistischer Grundregeln ertappt.  

Die von den beiden Autoren herausgearbeiteten Indizien, und mehr als Indizien sind es nicht, haben allerdings einen ganz anderen Haken: sie klingen einigermassen unglaublich. Kann man sich wirklich vorstellen, dass die Bush-Regierung zu einem derartigen Verbrechen fähig wäre oder es auch nur bewußt geschehen liess? Und wieviele Mitwisser hätte es dabei geben müssen, die heute ein Risiko darstellen würden? Denkt man weiter, fallen einem unwillkürlich die Kriegsverbrechen in Laos und Kambodscha, die Pentagon-Papiere, der Kennedy-Mord, der WatergateSkandal, der us-gestützte faschistische Putsch in Chile, die Iran-Contra Affaire, die Stimmen-Manipulation bei der Bush-Wahl, die gezielten Lügen zur Legitimierung des Irak-Krieges und  die neuen Erkenntnisse zum Angriff auf Pearl Harbour ein,  und man stellt schnell fest, dass der verheerende Glaubwürdigkeitsverlust der us-amerikanischen Aussenpolitik Spekulationen über Regierungsverbrechen geradezu provoziert. Schließlich wäre  es ja nicht das erste Mal, dass auch demokratische Politiker über Leichen gehen. Und hatten nicht Rumsfeld und Wolfowitz in einem Strategiepapier längst vor 9/11 Andeutungen darüber gemacht, dass die Durchsetzung der von ihnen ins Auge gefassten Strategie für die weltweite Herrschaft der Supermacht USA durch einen terroristischen Angriff befördert würde? Werden in Washington nicht längst demokratische Institutionen ausser Kraft gesetzt, um eine mafiöse Melange aus politischer Clique und Konzerninteressen an der Macht zu halten? Kann da sein, was  nicht sein darf?

Mit dem ‚Patriot-Act’, der gesetzlichen Einschränkung der zuvor in den USA zurecht so hochgehaltenen Informationsfreiheit hat die Bush-Regierung dem ohnehin vorhandenen Misstrauen erst richtig Nahrung gegeben. Eine Antwort auf die Frage nach den Hintergründen der September-Attentate wird es deshalb nur geben können, wenn die ins Visier geratene Supermacht alle Dokumente herausgibt, die zur Aufklärung der Attentate und ihrer Hintergründe beitragen können.

Bis dahin vernebelt es die politische Diskussion eher weiter, wenn Journalisten Journalisten als Verschwörungsidioten und Antisemiten beschimpfen. Was hatte der Präsidentensprecher Ari Fleischer gesagt: ‚Watch, what you say.’


Karin Beindorff

 

Erstsendung im Deutschlandfunk, am 22. Septmeber 2003, 19 Uhr 15


ufo-home.JPG (7825 Byte)